Wie die moderne Arbeitswelt den Menschen verändert

Die schöne neue Welt der heutigen Dienstleistungsgesellschaft, die Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, Büros, die mehr nach modernem Wohnzimmer als nach Arbeit aussehen – all das hat Carmen Losmann in ihrer ebenso brillanten wie beunruhigenden Dokumentation „Work Hard - Play Hard" festgehalten. In dem Film zeigt sie eine Welt, in der Personalwesen „Human Resource Management" heißt, in der die „Sanierung eines Betriebs mit der Sanierung seiner Angestellten" einhergeht und in der bei Auswahl und Training der Mitarbeiter nichts mehr dem Zufall überlassen wird. Eine Welt, in der die „Ziele des Arbeitgebers in die DNA jedes einzelnen Mitarbeiters" eindringen sollen, so dass dieser gar keine Überwachung mehr braucht, weil er sich stets selbst optimieren will. Stechuhr war gestern, Ressource Mensch ist heute. Diese Erkenntnis lässt einen erschaudern.

Der preisgekrönte Film gehört zu den meist gesehenen Dokumentationen des Jahres 2012.

Das Buch „Work Hard - Play Hard" bietet Hintergrundinformationen zum Verständnis des Films und den darin angesprochenen Problemen. Es setzt damit die Diskussion fort, die in zahlreichen Kinos nach dem Filmstart aufgekommen ist. Unter anderem haben sich Lehrer, Gewerkschafter und Arbeitspsychologen hieran beteiligt. Das Buch soll einem breiten interessierten Publikum die Möglichkeit bieten, die thematische Auseinandersetzung fortzuführen, sagt Losmann, Regisseurin des Films und Autorin des Buchs: „Es wird sich aus philosophischen, soziologischen Texten und anderen Materialien zusammensetzen, die ich zur Recherche verwendet habe." Zudem wurden die im Film porträtierten Unternehmen eingeladen, in einem eigenen Kapitel ihre jeweilige Sicht auf den Film darzulegen.

Ein Gespräch mit der Regisseurin:

Hat sich Ihr eigener Blick auf die Arbeitswelt durch den Film geändert?

Carmen Losmann: Mich hat die Arbeit an dem Film vor allem darauf aufmerksam gemacht, dass ich als freie Filmschaffende ganz und gar nicht außerhalb dieser Unternehmenskulturen und ihren Anforderungen stehe - im Gegenteil: Die Managementliteratur sieht den sogenannten Künstlertypus sogar als Vorbild, weil er völlig selbständig und ohne die Anweisungen eines Chefs, meist sogar ohne großen finanziellen Anreiz, seine Arbeit zu seinem Leben macht und seinen Sinn in der produktiven Tätigkeit sieht. Diese Kultur der Selbstmotivierung wird versucht in Unternehmenskulturen nachzuahmen, um Angestellte zu motivieren. Ich wiederum bin durch den Film viel aufmerksamer, was meine inneren Antriebskräfte angeht. Ich bemerke, dass eine mir äußerliche Ideologie durch mich hindurchwirkt. Diesem besinnungslosen Arbeiten kann ich mittlerweile eine Besinnung entgegensetzen, in der ich ganz bewusst zur Ruhe komme.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die neue Arbeitswelt zu dokumentieren?

Losmann: Ich habe gelesen, dass in hochqualifizierten Dienstleistungsbereichen jetzt eine Vertrauensarbeitszeit gilt. Man kann arbeiten wann und wo man will. Gleichzeitig erfuhr ich, dass viel verdichteter gearbeitet wird. Man arbeitet auch zuhause und dadurch rund um die Uhr. Eine Anwesenheitspflicht ist gar nicht mehr nötig. Das nahm ich zunächst als scheinbar paradoxes Phänomen wahr. Deshalb bin ich der Frage nachgegangen: Warum arbeiten Angestellte von sich aus so entgrenzt? Wer vertraut bei der Vertrauensarbeitszeit eigentlich wem? Vertrauen die Unternehmen ihren Mitarbeitern oder eher ihren Human Ressource Methoden, die dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter die Unternehmensziele verinnerlichen?

Sie haben sich also auch mit der Methode des Human Resource Managements beschäftigt?

Losmann: Mich hat die Umwandlung von Theorie in Praxis interessiert. In der Managementtheorie sollen die Angestellten im Unternehmen unternehmerisch handeln und denken. Sie sollen zum Unternehmer im Unternehmen werden. Diesen Transformationsprozess habe ich versucht zu dokumentieren.

Sie filmen unter anderem in dem neuen, beeindruckenden Gebäude von Unilever in Hamburg. Gefällt es ihnen eigentlich?

Losmann: Das neue Gebäude ist viel schöner als das alte. Viele Bedürfnisse, die ich als Angestellte auch hätte, werden dort erfüllt: Bedürfnisse nach Licht, nach einem freien Blick nach draußen etwa. Die Lichtkonstruktion erinnert mich an eine gotische Kathedrale. Was mich darüber hinaus interessiert hat: Was sind die Ideen, die heute in ein solches Gebäude eingeschrieben sind? Dieses Gebäude ist nach dem Vorbild einer Stadt konzipiert: Es gibt Wege, Nachbarschaften und Briefkästen. Was aber bedeutet es, wenn ein soziales Gefüge wie die Stadt als Vorbild für ein Unternehmen taugt? Oder andersherum gefragt: Ist es nicht auch so, dass das Unternehmen dadurch unser soziales Gefüge und mich selber formt? Das Gebäude ist z.B. so konstruiert, dass die Mitarbeiter möglichst ungeplant mit ihren Kollegen ins Gespräch kommen. Die Architektur fördert es, dass so viele Ideen entstehen. Und mehr als das: Die Architekten sind die Programmierer einer gesamten Lebenswelt und drücken es so aus: Hier wird Leben generiert. Der Zuschauer kann im Film also sehen, wie sein eigenes Leben geformt wird.

Sehen Sie diese neue Arbeitswelt eigentlich eher kritisch? Viele Filmrezensionen legen das nahe.

Losmann: Einige Kritiker werden der Mehrdeutigkeit des Films nicht ganz gerecht. Es ging mir nicht darum zu bewerten. Ich bin mit einem offenen Blick in die Unternehmen gegangen. Man muss das Sowohl-als-auch aushalten. Ich wollte Fragen zur Diskussion stellen, die ich selber nicht beantworten kann. Im Human Resource Management wird der Mensch als eine sich ständig selbst optimierende Ressource verstanden. Was aber, wenn ein Mensch sich nicht mehr weiter optimieren kann? Wie weit kann man das Wachstumsprinzip, nach dem Unternehmen handeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben, auf den Menschen übertragen?

Sie nahmen auch einer Potenzialanalyse teil. Man sieht, wie ein junger Mann signalisiert: Ich stehe ganz hinter dem Unternehmen und möchte in ihm eine wichtige Rolle spielen.

Losmann: Bei einer Potenzialanalyse werden die Persönlichkeit und ihr Potenzial anhand verschiedener Kategorien und Parameter analysiert. Es ist aus Sicht des Unternehmens logisch, dass es seine Mitarbeiter nur zu Parametern testet, die ihren ökonomischen Wert ausmachen - und der betrifft mittlerweile viele Bereiche der Privatsphäre. Ich frage mich aber: Ist das alles, was einen Menschen ausmacht? Gibt es in diesem Arbeitsleben die Möglichkeit, mehr zu sein, als diese Parameter vorgeben?

Einer der Getesteten brennt förmlich dafür, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen.

Losmann: Die Mitarbeiter versuchen natürlich, sich nach diesen Parametern auszurichten. Sie arbeiten an ihrer Effizienz und Belastbarkeit. Die Parameter formen also unser Selbstbild sehr stark. Das wollte ich befragen: Möchte ich mir diese Parameter zu Eigen machen und mein gesamtes Selbst nach unternehmerischen Gesichtspunkten ausrichten?

Gleichzeitig wird erwartet, dass der Mitarbeiter möglichst er selbst ist. Ein Widerspruch?

Losmann: Es ist eine fast unlösbare Aufgabe für jeden Menschen in einer solchen Testsituation. Er soll die Erwartungen erfüllen und gleichzeitig seine wahre Persönlichkeit zeigen. Also versucht der Mitarbeiter, sich selbst als authentische, souveräne Person zu spielen, die wie von selbst die Erwartungen der Unternehmen erfüllt. Es gibt also eine hohe Anforderung, diese genannten Parameter als authentischen Teil meiner Persönlichkeit wiederzugeben, gleichzeitig bin ich als gesamte Person vollständig der unternehmerischen Profitgenerierung unterworfen. Was bedeutet das eigentlich für mich als Mensch? Darüber nachzudenken, finde ich spannend.

Das Gespräch führte Sybille Möckl für die Leserzeitung des Schüren Verlags FILMgeBlätter