«The way of the future, the way to the future, the way to the future…», wiederholt Howard Hughes in Martin Scorseses (US 2004) angesichts des anbrechenden Düsenzeitalters immer wieder. Die Zukunft ist durch ihre Unbestimmtheit und ihre Eigenschaft, als Projektionsfläche für menschliche Wünsche und Hoffnungen, aber auch Ängste zu fungieren, ein zentrales Motiv der Filmgeschichte. Zudem stellt das Fragen nach der Zukunft immer auch ein Nachdenken über die Gegenwart dar: Mit welchen Ideen, Wissensbeständen, Ideologien und technischen Hilfsmitteln wird zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte über das Zukünftige nachgedacht?
Die diesjährige Ausgabe des CINEMA-Jahrbuchs möchte sich diesen Fragen in Kategorien des Ästhetischen, Filmgeschichtlichen, Genretypischen, Genderspezifischen und Technologischen annähern. So geht Margarete Wach in ihrem Beitrag der Frage nach, wie osteuropäische und sowjetische Science-Fiction-Filme während des Kalten Krieges die kommunistische Weltrevolution als etwas bereits Realisiertes und damit vergangenes Zukünftiges thematisierten, mit ihrem propagandistischen Gedankengut das Bedürfnis des Publikums nach Eskapismus und alternativen Welten aber gleichzeitig unterliefen. Simon Spiegel wiederum versucht genauer zu verstehen, wieso fiktionale Science-Fiction-Filme fast ausschliesslich dystopische Zukunftsentwürfe präsentieren und vermeintlich positive Utopien vor allem in Dokumentar- und Propagandafilmen anzutreffen sind. Denis Newiak zeichnet die Geschichte des Mars-Films als eine kontinuierliche Metamorphose von auf den roten Planeten projizierten Wunsch- und Zukunftsvorstellungen, die sich mit der Erforschung und Entzauberung des Mars fortlaufend verändern.
«Well, you seem like a person but you're just a voice in a computer», hinterfragt Theodore in (Spike Jonze, USA 2013) seine körperlose Muse Samantha: Stella Castelli zeigt mit ihrer Analyse von und (Frank Oz, USA 2004), wieso die Kommunikation zwischen Menschen und künstlichen Intelligenzen nicht nur an einer fehlenden gemeinsamen Sprache, sondern vor allem auch an emotionalen und körperlichen Differenzen scheitert. Rebecca Bogulska beschäftigt sich mit ähnlichen Fragen, wenn sie untersucht, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der sexuellen Identität bei der Erfahrung einer pornografischen Virtual-Reality-Installation verändert und dadurch normative Identitätskonzepte infrage gestellt werden können. Auch der literarische Beitrag von Monique Schwitter erzählt von den Erfahrungen mit ‹schlüpfrigen› Virtual-Reality-Filmen und den seltsamen Kontrasten zur erlebten Realität, die sie entfalten können. Warum Virtual und Augmented Reality aktuell in aller Munde sind, was für Herausforderungen und Möglichkeiten die neuen Technologien mit sich bringen und inwiefern es sich dabei wirklich um die Zukunft des Kinos handelt, haben Henriette Bornkamm, Kristina Köhler und Marian Petraitis mit dem US-Medienwissenschaftler William Uricchio für CINEMA besprochen.
Ins Reich des Seriellen und der sich evolutionär-verfeinernden Roboter entführt uns David Grob mit seiner Analyse der HBO-Serie (USA 2016–). Im Szenario eines zukünftigen Vergnügungsparks, in dem die Besucher ihre Wildwest-Fantasien mit humanoiden Robotern ausleben können, wird das Ende der menschlichen Evolution als Beginn der Genese von künstlichen Intelligenzen und der Ausformung von artifiziellem Bewusstsein thematisiert. Maren Kiessling versucht das Potenzial von Fulldome-Filmen, bis jetzt vor allem dem Dokumentargenre verpflichtet, für die Spielfilme der Zukunft auszuloten und erläutert dabei deren kinematografische Besonderheiten.
Im ‹CH-Fenster› versuchen die Archivarinnen Seraina Winzeler und Isabel Krek anhand der Sammlungspolitik der Cinémathèque suisse nachzuvollziehen, wie die Zukunft des Filmarchivs aussehen könnte, wenn es kein Kinoarchiv mehr ist. Dementsprechend thematisieren Yves Niederhäuser und Felix Rauh vom Verein Memoriav die archivarischen Herausforderungen der Filmkonservierung in Zeiten des digitalen Wandels. Lucie Bader erzählt in ihrem Filmbrief ‹Shanghai Film Lab› von der filmischen Zusammenarbeit von Filmschaffenden aus Zürich und Schanghai und den daraus entstandenen Kurzfilmen über die junge chinesische Generation Y. Ebenfalls mit den Hoffnungen von jungen Erwachsenen setzen sich unsere diesjährigen Momentaufnahmen auseinander. Darin erzählen Schweizer Jungregisseure/-innen über ihre filmischen Ambitionen, ihre ersten Erfahrungen auf dem Set und ihre Inspirationen fürs Filmemachen.
Ausserdem ist es uns ein besonderes Vergnügen, dieses Jahr als Bildessay eine Auswahl wenig bekannter Werke von HR Giger präsentieren zu dürfen, die mit ihrer technoid-organischen Ästhetik ein Fenster in eine fantastisch-düstere Zukunft öffnen, wie sie nur wenige Künstler zu zeichnen vermögen. Unsere Filmkritiken in der Rubrik ‹Sélection Cinema› schliesslich bündeln das Schweizer Filmschaffen des vergangenen Jahres in all seiner Bandbreite. Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre.
Für die Redaktion
SIMON MEIER