Editorial

Mit dem Einzug der „Piratenpartei" in die politische Arena hat sich nicht nur die Parteienlandschaft verändert. Gleichermaßen hat sich daraus eine demokratietheoretische Debatte entfacht, die wieder verstärkt den Zusammenhang von repräsentativen und direktdemokratischen Elementen in der politischen Willensbildung und Herrschaftsausübung diskutiert. Um nur einige Fragen zu benennen, die in diesem Zusammenhang auftauchen. In welche Richtung sollen die Entscheidungsverfahren verändert werden? Welche Defizite, aber auch welche Vorzüge gibt es in unserem Demokratiesystem? Was heißt eigentlich „liquid democracy"? Wo liegen möglicherweise einige belebende Elemente, wo liegen aber auch darin versteckte autoritär-technokratisch-infantile Wirklichkeitsvorstellungen?

Klaus-Jürgen Scherer beleuchtet die politischen, gesellschaftlichen und mentalen Charakteristika der Piraten. In seinem Beitrag führt er aus, dass die Piraten ein falsches Demokratieverständnis und einen falschen Freiheitsbegriff pflegen. Die bei manchen Wählern zunächst als charmant empfundene „piratische Ahnungslosigkeit" wird schon jetzt zunehmend als problematisch empfunden.

In unserem Schwerpunkt verfolgen wir alternative Theorie- und Politikkonzepte, die für eine andere soziale Demokratie von Bedeutung sein könnten. Heinz-J. Bontrup konstatiert, dass die Neoliberalen immer noch nichts aus der Krise gelernt hätten und einen radikalisierten Klassenkampf von oben führen. Nina Scheer unterstreicht in ihren Ausführungen, wie notwendig, sinnvoll und finanzierbar die Entwicklung und Einführung Erneuerbarer Energien ist. Roland Popp erörtert die neuen Subjektivierungsformen wie „Arbeits-Flow" und das „unternehmerische Selbst" und bringt sie in einem Zusammenhang mit einer freiheitlichen Lebensführung, die sich gegen despotische Systeme wendet. Carsten Sieling zeigt aus der Sicht eines Bundestagsabgeordneten nochmal deutlich, dass eine soziale Demokratie sich auch ganz konkret in die Finanzmarktpolitik einmischen und diese verändern muss. Christian Zimmermann steckt das Terrain für eine politische Bildung ab, die in Zeiten der Postdemokratie sich wieder auf ihren emanzipatorischen Geist besinnen muss. Thematisch in eine ähnliche Richtung argumentiert der Beitrag von Marcel J. Dorsch, der die Konzepte der politischen Öffentlichkeit von Jürgen Habermas und Michel Foucault diskutiert, und daraus folgert, dass es nicht um feste Entscheidungsverfahren, sondern gerade um das Aufbrechen solcher Verfahren gehen muss. Und zum Abschluss des Schwerpunkts verfolgt Horst Heimann nochmal seine Überlegungen zur Transformationsdebatte mit dem Leitgedanken, dass das kapitalismuskritische Bewusstsein nicht nur gestärkt, sondern verstärkt in der SPD zur Geltung kommen muss.

Natürlich werden in Umbruchzeiten immer wieder gesellschaftliche Projekt und Konzepte diskutiert, ihre öffnenden Möglichkeiten debattiert und ihre möglichen Sackgassen gegeißelt. Wer sich einen Sinn für lange Zeiträume bewahrt hat, wird an den gesellschaftspolitischen Debatten erkennen, dass manche Themen in der einen oder anderen Form immer wieder einen konjunkturellen Aufschwung erleben. Intensiv beigetragen zu diesen Debatten in der politikwissenschaftlichen und gesellschaftstheoretischen Diskussionen hat Iring Fetscher. Als Herausgeber ist er den perspektiven ds seit dreißig Jahren verbunden. In diesem Jahr konnte er seinen 90. Geburtstag feiern – und die Redaktion gratuliert herzlich.

Viele Anregungen beim Lesen wünscht

Roland Popp